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„Frankfurter Erklärung der Ernährungsräte“
Ernährungsdemokratie jetzt!
Beim zweiten Kongress der deutschsprachigen Ernährungsräte vom 23.11. – 25.11. 2018 in Frankfurt am Main, haben wir als Netzwerk die folgende Erklärung verabschiedet.
Weltweit organisieren sich Bürger*innen in Ernährungsräten, um als Bündnis zivilgesellschaftliche Positionen und Forderungen für ein zukunftsfähiges Ernährungssystem öffentlich zu vertreten und ihnen zu politischer Geltung zu verhelfen.
Die Gründe für eine Ernährungswende sind offensichtlich:
Die industrielle Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion befördern den Klimawandel, die Abholzung der Wälder, die Zerstörung der Böden, Wasserknappheit sowie -verschmutzung und den Verlust von Biodiversität mit Auswirkungen in Deutschland, der Europäischen Union und überall in der Welt. Wenige große Unternehmen der Agrarwirtschaft profitieren, während viele bäuerliche Betriebe und handwerkliche Verarbeiter aufgeben müssen. 800 Millionen Hungernde, mehr als eine Milliarde fehlernährte Menschen – und parallel dazu zwei Milliarden Übergewichtige – weltweit zeigen, dass das globale Ernährungssystem aus dem Ruder gelaufen ist.
Ein Systemwandel ist möglich, denn immer mehr Bürger*innen schätzen gutes Essen und Klarheit darüber, wo und wie es erzeugt wird. Sie kaufen ökologische, saisonale und regionale Produkte. Das zeigt uns, dass gutes Essen und gute Landwirtschaft möglich sind – jetzt und in Zukunft, hier in Deutschland und überall.
Zentral ist dabei, dass die Verantwortung für eine zukunftsfähige Ernährungsweise nicht auf Akteure wie Lebensmittelproduzent*innen und Konsument*innen abgewälzt werden darf. Vielmehr ist es Aufgabe der Politik, für die Rahmenbedingungen zu sorgen, die ein zukunftsfähiges, relokalisiertes Ernährungssystem ermöglichen. Die Politik ist gefordert Formen des nachhaltigen Wirtschaftens zu fördern.
Eine demokratische, gerechte, freie und weltoffene Gesellschaft ist für das Gelingen der Ernährungswende dabei unabdingbar!
Die Ernährungsräte im deutschsprachigen Raum sind in den Städten und Gemeinden vor Ort aktiv, um die Ernährungswende auf lokaler Ebene mit zu gestalten.
Mit den nachfolgenden Forderungen treten wir an die Öffentlichkeit:
Veränderte Rahmenbedingungen durch politische Verantwortung:
Der Zugang zu gesunden Lebensmitteln muss auch als Ausdruck des Vorsorgeprinzips Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge sein. Städte und angrenzende Regionen spielen eine zentrale Rolle bei der Schaffung einer nachhaltigen Lebensmittelversorgung. Die aktuell bestehenden planerischen und entwicklungspolitischen Instrumente sollen auch die Belange der Lebensmittelerzeugung und Verteilung berücksichtigen – und zwar weit über die Stadtgrenzen hinaus.
Wahre Preise und Transparenz im wirtschaftlichen System:
Die aktuellen Wirtschaftsstrukturen mindern die Wettbewerbsfähigkeit einer nachhaltigen Lebensmittelversorgung. Wir brauchen eine korrekte Einpreisung externer Kosten (d.h. direkt und indirekt verursachte ökologische und soziale Probleme) bei Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung
Macht der Verbraucher*innen und Verantwortung der Politik:
Die Verantwortung kann nicht allein auf die Verbraucher*innen abgewälzt werden, während echte Möglichkeiten zur aktiven Mitgestaltung fehlen. Appelle zu nachhaltigem Konsum scheitern unter anderem an fehlenden attraktiven Alternativen.
Wertschöpfungsketten zu Wertschöpfungskreisläufen:
Regionale Lebensmittelversorgung erfordert funktionierende, (lokale) Wertschöpfungskreisläufe und Infrastrukturen. Eine Ernährungswende gelingt dabei nur zusammen mit einer Agrarwende unter Beteiligung aller Stufen der Wertschöpfung.
Voneinander Lernen und existierende Lösungen übertragen:
In vielen Regionen gibt es bereits zahlreiche Erfolgsbeispiele nachhaltiger Lebensmittelversorgung. Diese gilt es zu fördern und zu multiplizieren. Hierbei kommt vor allem den Politiker*innen in Städten und Gemeinden eine größere Verantwortung zu, die sie wahrnehmen müssen.
Text folgt)
Pressemitteilung
Sorge um krisensichere Ernährung: Höchste Zeit für eine Regionalisierung in der Ernährungswirtschaft
04.05.2020 – „Ist unsere Ernährung in Krisenzeiten gesichert?“, fragen sich derzeit viele Verbraucherinnen und Verbraucher zu Recht. Wie anfällig globale Lieferstrukturen sind, wird zurzeit immer deutlicher. Die Corona-Pandemie zeigt, wie verletzlich die arbeitsteilige Weltwirtschaft ist. Die Schwächen der globalen Handelsstrukturen werden nicht nur im Medizinbereich schmerzlich sichtbar. Auch an den globalen Nahrungsmittelmärkten geht es turbulent zu: Einige Länder verhängen Exportstopps oder versuchen große Mengen Reis, Weizen und andere Grundnahrungsmittel aufzukaufen und einzulagern. Das bedeutet auch für uns in Niedersachsen: wir brauchen konkrete Maßnahmen hin zu einer Regionalisierung in der Ernährungswirtschaft.
Wie extrem der deutsche Markt von Im- und Exporten abhängt, zeigen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes: Insgesamt hat sich der weltweite Warenexport in den letzten 40 Jahren verzehnfacht, etwa ein Viertel aller in Deutschland erzeugten landwirtschaftlichen Produkte gehen in den Export. Aktuell leidet die heimische Milchindustrie. Während der Absatz im Lebensmittelhandel enormen Zuwachs erfährt, verlieren die großen Molkereien und Milchviehbetriebe in der aktuellen Krise ihren internationalen Absatzmarkt und somit ihre Wirtschaftlichkeit, die ausschließlich auf Großstrukturen basiert. Dezentrale Strukturen sind jedoch in der Nahrungsmittelgrundversorgung und in der Lebensmittelverarbeitung elementare Stabilitätsfaktoren nicht nur in Krisenzeiten. Die politisch forcierte Exportorientierung und das Zerschlagen des regionalen Marktes mit dezentralen regionalen Wirtschaftskreisläufen zeigt hier deutlich das Marktversagen.
Rund zwei Drittel des in Deutschland verzehrten Gemüses werden dagegen laut Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI) importiert. Auch hier verlässt man sich auf den internationalen Markt, ohne eine systematische Entwicklungsstrategie regionaler Strukturen mit regionaler Wertschöpfung vor Ort voranzutreiben. Die unabdingbare „Luftbrücke“ für osteuropäische Erntehelfer zeigt die fragilen Großstrukturen im Obst- und Gemüseanbau in Deutschland.
Eine Versorgung überwiegend aus regionalen Wirtschaftskreisläufen – und das weltweit – könnte Regionen in Krisensituationen resilienter machen und durch lokale Wertschöpfung auch Kleinst-, kleine und mittlere Wirtschaftsbetriebe vor Ort stärken. Daher drängen der Ernährungsrat Niedersachsen, die Ernährungsräte aus Frankfurt, Hannover und Köln, der Bundesverband der Regionalbewegung e.V., die Marktschwärmer Deutschland, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V. und das Netzwerk Solidarische Landwirtschaft e.V. gemeinsam auf eine Regionalisierung und damit De-Globalisierung in der Ernährungswirtschaft. Bund und Länder sind hier gefragt, Regionalisierungsstrategien gemeinsam mit den relevanten Praxisakteuren der Land- und Ernährungswirtschaft zu entwickeln.
Jetzt besteht die Chance, den Aufbau von regionalen Nahversorgerstrukturen systematisch zu unterstützen. Die Resilienz der Kommunen und Regionen wird nicht nur im Medizinbereich eine tragende Rolle spielen müssen. Der Erhalt und Aufbau regionaler Wirtschaftskreisläufe für eine hohe Wertschöpfung in den Regionen und eine weitgehende Unabhängigkeit von globalen Handelsstrukturen sind Voraussetzung für eine zukunftsträchtige und krisenfeste Daseinsvorsorge – eine Pflichtaufgabe für Kommunen, für deren Rahmenbedingungen Bund und Länder sorgen müssen.
Pressekontakt:
Ernährungsrat Niedersachsen
Ernährungsrat Hannover und Region
Peter Wogenstein (Presse- und Öffentlichkeitsarbeit) Tel. 0172 204 9188
E-Mail: peter.wogenstein@t-online.de
Die Verfasser der Pressemeldung:
Ernährungsrat Hannover und Region
Ziel des Ernährungsrates ist es, für Hannover und die Region ein resilientes, gerechtes und gemeinwohlorientiertes Ernährungssystem zu etablieren, durch das saisonale und regionale Lebensmittel aus fairer und ökologischer/nachhaltiger Herstellung sowie artgerechter Tierhaltung gefördert werden.
Kontakt: Anika Bogon, www.ernaehrungsrat-hannover.de.
Ernährungsrat Niedersachsen
Der Ernährungsrat Niedersachsen ist ein Zusammenschluss der Ernährungsräte und Initiativen in Göttingen, Hannover, Lüneburg und Oldenburg. Er vertritt die Anliegen der Ernährungsräte auf Landesebene.
Kontakt: Peter Wogenstein, peter.wogenstein@t-online.de.
Auf Grundlage der Presseerklärung folgender Initiativen und Verbände:
Ernährungsrat für Köln und Umgebung
Kontakt: Florian Sander, www.ernährungsrat-köln.de.
Ernährungsrat Frankfurt
Kontakt: Jörg Weber, www.ernährungsrat-frankfurt.de.
Der Bundesverband der Regionalbewegung e.V. (BRB)
Kontakt: Ilonka Sindel, www.regionalbewegung.de.
Marktschwärmer
Kontakt: Jaques Wecke, www.marktschwaermer.de.
Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V. (AbL)
Kontakt: Georg Janßen, www.abl-ev.de.
Netzwerk Solidarische Landwirtschaft (Solawi)
Kontakt: Stephanie Wild, www.solidarische-landwirtschaft.org.